Damals im Kreis Bütow. Geschichten aus dem Kreis Bütow von Georg Sonnenburg © 1991-2001
Erstveröffentlichung in: Die Pommersche Zeitung
Wiederabdruck in: Georg Sonnenburg, "Damals im Kreis Bütow" Frankenberg 1991, S. 43-49


Der gestörte Frühschoppen

Jedesmal, wenn Borraß sein Federvieh fütterte, war das eine große Freude für ihn. Wenn es um ihn herum schnatterte, gluckste, gackerte und krähte, dann stieg eine gewaltige Befriedigung in ihm auf, und er streute mehr Gerste oder Hafer unter das quirlende, flatternde und emsig pickende gefiederte Volk als gut war, sehr zum Ärger seiner Angetrauten übrigens, die eine sparsame Hausfrau war. So nahm er denn seine Lieblingsbeschäftigung zu einem Zeitpunkt wahr, an dem er sich unbeobachtet wußte: nämlich in den frühen Morgenstunden, wenn seine Frau noch in Orpheus' Armen ruhte.

An seinem Geburtstagsmorgen, einem strahlenden Junitag, stand er wieder inmitten der heftig flügelschlagenden Menge von Enten, Gänsen, Puten, Hühnern und Tauben und streute aus einem ausgedienten Marmeladeneimer zur Feier des Tages ein Gemisch aus Hafer, Gerste und Roggen auf den Hof. Und als wüßte er genau um die Bedeutung dieses Morgens für den Hausherrn, flog der Hahn,, ein prächtiger rebhuhnfarbiger Italiener, auf den Ackerwagen mitten auf dem Hof, schlug mit den Flügeln und krähte so laut, daß es den Puthahn sozusagen mitriß und er mehrmals sein weniger wohltönendes "Tütata" hören ließ. Das ließen die Gänse nicht auf sich sitzen und begannen ihrerseits ein vielstimmiges Geschrei, in das die Enten schnatternd und die Perlhühner gellend einstimmten.

Borraß nahm diese Huldigung seiner Lieblinge gelassen hin, sog zufrieden an seiner dicken Zigarre, die er sich zur Feier des Tages geleistet hatte, und paffte mächtige Wolken in die laue Frühlingsluft. Er stand breitbeinig da, ein Mann wie eine deutsche Eiche, und seine Augen strahlten vor stiller Freude. Max Borraß war der Revierförster von Eichenau, dem vormaligen Dombrowo, in dem weiland der Restgutsbesitzer Radtke gehaust hatte, von dem schon die Rede war. Borraß nannte sich selbst "Fürst von Eichenau", und diese Bezeichnung traf auf ihn auch in vollem Umfang zu. Er wohnte nicht in dem früheren Gutshaus, sondern er residierte, und jeder in der Umgebung, gleichgültig ob Arbeiter oder Bauer, zollte ihm die gehörige Achtung. Wehe dem allerdings auch, der es gewagt hätte, ihm diesen selbstverständlichen Respekt zu versagen!

Nach der Fütterung des Federvolks machte der Förster seinen gewohnten Rundgang durch Hof und Stallungen und hielt sich besonders lange bei den Warmblutpferden auf, die zwar schon betagt, aber dennoch der ganze Stolz ihres Besitzers waren. Nach einem kurzen Plausch aber den Gartenzaun hinweg mit dem Haumeister Dobersalske beendete er den Rundgang auf der Terrasse, die ehemals von Radtke als Freitreppe erbaut worden war, wo seine Frau und seine beiden Töchter schon mit dem Frühstück auf ihn warteten und ihm jetzt zu seinem Ehrentag gratulierten.

Die Mahlzeit war gerade beendet und die Frauen hatten sich ins Haus zurückgezogen, als auch schon Gutsförster Senkel auftauchte, um seinem Reviernachbarn zu seinem Ehrentag zu gratulieren. Senkei hatte sogar ein Geschenk mitgebracht, eine ganze Flasche "Schiet lot emm".. und was lag da näher, als den Inhalt kritisch unter die Lupe zu nehmen? Die Grünrecke hatten soeben das zweite Gläschen geleert und das Getränk für gut befunden, als Hegemeister Ferch um die Ecke bog, schon von weitem seinen Hut schwenkte und sichtlich erfreut schmunzelte, als er die Flasche und Gläser auf dem Tisch entdeckte. Sein Geschenk war ein Päckchen "Kurmark"-Zigaretten. Auch er gratulierte dem Geburtstagskind wie sich's gehört, und setzte sich danach wie selbstverständlich an den Tisch. Und wie selbstverständlich holte Borraß ein drittes Glas herbei, goß wieder ein und trank seinen Gästen zu.

Die drei Nimrode waren eine eherne Runde, die gemeinsam schon manchen Sturm erlebt hatte. Es war schon vorgekommen, daß sie an Ultimo bei Erdmann in Neukrug im Krug eingekehrt und erst drei Tage später heimwärts aufgebrochen waren. Beim Skatspiel war die Zeit schnell vergangen. Sie waren in das Spiel so eifrig vertieft gewesen und hatten genauso eifrig Bier und Korn zugesprochen, daß sie nur die allernotwendigsten "Spatengänge" gemacht hatten. Dabei hatte es sich einmal dann ergeben, daß Senkel beim Aufstehen feststellte, daß er nasse Füße bekommen hatte. Obschon nicht mehr ganz nüchtern, kam es ihm dennoch reichlich merkwürdig vor, daß er in der mollig-warmen Bierstube die Langschäfter so gestrichen voll hatte, daß das Wasser darin nur so schwappte. "Nee, so wat ober uck!" rief er kopfschüttelnd aus, unwillkürlich ins vertraute Platt verfallend, wo er sich erst mal Erleichterung verschaffte und danach die Stiefel auszog und den Inhalt auskippte.

Borraß schmunzelte in seinen Schnurrbart hinein, als Senkel mürrisch in die Bierstube zurückkehrte, hatte er sich doch vorhin heimlich Erleichterung verschafft und den gesamten, nicht gerade geringen Blaseninhalt durch seinen Rohrstock in Senkels Langschäfter fließen lassen, der davon nichts gemerkt hatte, weil er gerade einen "Grand mit Vieren" spielte, und so konnte er sich später nie erklären, wie das Wasser in seine Stiefel gekommen war.

Ferch kippte auch keine vollen Gläser um, und ihm wurde nachgeredet, daß er sogar bei Treibjagden heimlich an einem Flachmann nuckelte. Einmal schoß er bei einer Drückjagd einem Hauptschwein den Pürzel (Schwanz) ab, was viel Heiterkeit erregte und Borraß dazu veranlaßte, am Ort des Geschehens, einer Wegspinne unweit von Groß Nossin, eine Tafel mit der Aufschrift "Hegemeisterecke" anzubringen, die dort, allmählich verwitternd, noch bis zur Flucht und Vertreibung hing. Bei einer anderen Treibjagd gab der Forstmeister die Ergebnisse der einzelnen Schützen bekannt. Es herrschte, wie immer, erwartungsvolles Schweigen, als die Namen und die Anzahl der erlegten Hasen aufgerufen wurden. Dann war auch Ferch an der Reihe und der Forstmeister rief. "Hegemeister Ferch - zwei Hasen!" "Nee, drei!" kam es prompt zurück, was dem hohen Herrn sichtlich mißfiel.

So saßen die drei Grünröcke auf der Veranda des "Fürsten von Eichenau" und tranken immer noch einen und krakeelten allmählich so laut, daß es bis nach Bresinke zu hören war. Da tönte unvermittelt ein Perlhuhnschrei in ihr Stimmengewirr hinein. Das Huhn saß in der Krone einer der hohen Fichten, die die Försterei umstanden, und spähte mit langem Hals in südliche Richtung.

"Da stimmt was nicht!" stellte Borraß sofort mit Baßstimme fest und reckte gleichfalls seinen Hals. Immer wenn die alte Perlhuhnmutter Wanda warnte, war Gefahr im Verzuge, das hatte er schon oft erlebt. Senkel und Ferch leerten noch schnell ihre Gläser, dann ließ Borraß auch schon Flasche und Gläser in der Lebensbaumhecke verschwinden, die die Terrasse eingrenzte. Er eilte sodann ins Haus, kehrte mit einer Wasserkaraffe und Wassergläsern zurück und stellte alles blitzschnell auf den Tisch. Während seine Zechkumpane noch verständnislose Gesichter machten, näherten sich klappernde Pferdehufe, und dann bog auch schon eine Kutsche mit dem Forstmeister in den Hof. "Donnerlittchen!" stieß Senkel bleich hervor.

Fritz Potratz, der Kutscher des Forstmeisters, lenkte die Pferde vor die Terrasse und hielt dort mit einem lauten "Prrr" an. Während Senkel und Ferch wie vernichtet dasaßen und wie Urbilder des bösen Gewissens aussahen, spielte Borraß geistesgegenwärtig den Schnapsgeruch mit einem riesigen Schluck Wasser hinunter und empfing dann auf der untersten Treppenstufe den unerwarteten Gast, der behende von der Kutsche geklettert kam.

"Keine besonderen Vorkommnisse, Herr Forstmeister!" meldete Borraß militärisch stramm und legte die Hand an den Hut, den er noch rasch aufgestülpt hatte.

Über das Gesicht des drahtigen Forstmeisters glitt ein zufriedenes Lächeln. So gefielen ihm seine Untergebenen. Wilhelm v. Schütz hatte das Forstamt Taubenberg erst vor kurzer Zeit übernommen, und neue Besen kehren bekanntlich gut. Er dankte dem Revierförster für die Meldung, gratulierte ihm zum Geburtstag und fragte dann kurz: "Kleine Besprechung, die Herren?" "Es geht wieder mal um den leidigen Wildschaden, Herr Forstmeister", sagte Borraß gelassen. "Gut, gut", lobte der hohe Herr. Er musterte die drei Nimrode durchdringend und fragte plötzlich: "An einem solchen Tag ganz ohne geistige Getränke, meine Herren?" "Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps, Herr Forstmeister", entgegnete Borraß mit wahrer Bierruhe. "Im Dienst nie einen Tropfen Alkohol", bestätigte Senkel im Brustton der Überzeugung. "So isses", nickte Ferch tapfer, obwohl ihm die Knie zitterten. "Das lob ich mir!" rief der Forstmeister und schwang sich auf die Kutsche.

Als er um die Scheunenecke davongefahren war, wischte sich Ferch den Schweiß von der Stirn und rief gepreßt: "Dat hätt' aber in Aug' jehen können!" "Man muß immer die Nerven behalten, Herrschaften", stellte Borraß selbstbewußt fest und holte das Versteckte aus der Lebensbaumhecke, dann goß er ungeniert weiter ein. Als er das Feuerwasser die Kehle hinunterrinnen ließ, schleifte sei Blick zur Fichtenkrone empor, in der die alte Perlhenne Wanda saß und jetzt ihr Gefieder putzte. Wenn es die treue Wächterin nicht gegeben hätte...

Nicht weit von Herrmannshof entfernt war um dieselbe Zeit eine Anzahl Waldarbeiter mit Paltenhacken beschäftigt. Sie unterhielten sich dabei aber den neuen Forstmeister und ihre Meinungen prallten hart aufeinander. Während Zube, Greunke und Nemitz zur Vorsicht rieten und Schlottke mit seiner Meinung zurückhielt, schwärmte Pommeranz regelrecht von ihm und stellte prahlerisch fest. "Ji kene segge, wat ji wulle, ick kann mi gaud mit emm stelle." Dabei kannte er den hohen Herrn ja noch kaum. Als sich die Kutsche mit dem Forstmeister näherte, beugten sich die fünf Männer tiefer über ihre Arbeit. Von Schütz ließ anhalten, betrachtete vom Wagen herunter die gezogenen Paltenreihen und fragte dann barsch, wer das so angeordnet habe. "Ich"" meldete sich Pommeranz zaghaft. "Ja, sind Sie denn von allen guten Geistern verlassen, Mann!" schneuzte ihn der Forstmeister an und polterte gleich weiter, kein gutes Haar an Pommeranz lassend.

Endlich ließ er weiterfahren, und der Waldarbeiter blieb geknickt zurück. Als die Kutsche außer Hörweite war, richtete sich Schlottkes Karl auf, musterte Pommeranz hämisch und spottete, "Kiek eis, Willem, du kast di jo echt mit emm stelle." Pommeranz gab keine Antwort, sondern widmete sich noch intensiver seiner Arbeit. nahm sich fest vor, künftig bei der Beurteilung neuer Herren erheblich vorsichtiger zu sein, weil ihn Schlottkes Bemerkung tief getroffen hatte.


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