Damals im Kreis Bütow. Geschichten aus dem Kreis Bütow von Georg Sonnenburg © 1991-2001
Erstveröffentlichung in: Die Pommersche Zeitung
Wiederabdruck in: Georg Sonnenburg, "Damals im Kreis Bütow" Frankenberg 1991, S. 55-62


Das Bad im Dorfteich

Max war ein Luntrus und nicht mal ein kleiner, er war nämlich beinahe schon ein Schubiak. Besonders wenn er einen über den Durst getrunken hatte, und das kam gar nicht mal selten vor, konnte er unangenehm bis grob werden. Dann gingen ihm Mutter und Geschwister aus dem Weg; sein Vater lebte nicht mehr. Meist verschwand er dann aber in seinem Dachkarbuff, wo er seinen Rausch ausschlief und danach friedlich in den Schoß der Familie zurückkehrte.

Wenn er Tanzvergnügen besuchte und als Kerl in der Blüte seiner Jahre ließ er kein einziges aus, verursachte er regelmäßig Keilereien. Dadurch hatte er sich den Ruf eines gefürchteten Schlägers verschafft, auf den er auch noch stolz war. Da er über Bärenkräfte verfügte, hatte er kaum nennenswerte Gegner, und nicht selten prügelte er den ganzen Saal leer, bloß um sich anschließend an die Theke zu stellen und seelenruhig ein Bier zu schlömern.

Es konnte nicht ausbleiben, daß er mit den Wachtmeistern in der Umgebung auf dem Kriegsfuß stand, denn welcher Ordnungshüter hat es schon gern, wenn in seinem Dienstbereich Männer grün und blau geschlagen und ein Teil des Wirtshausmobilars bei der Gelegenheit demoliert wird. Einmal hatte sich Max sogar mit einem Ordnungshüter angelegt, dabei aber den kürzeren gezogen, weit er gegen den Polizeigriff des Gendarmen nichts hatte ausrichten können. Den Rest der Nacht hatte er auf der harten Pritsche des Spritzenhauses zubringen und über seine Sünden nachdenken müssen. Seit diesem Erlebnis gab er stets Fersengeld, sobald bei Schlägereien jemand den Gendarmen ankündigte.

An einem lauen Frühsommertag war im Nachbardorf Kriegerfest angesagt, zu dem aus der ganzen Umgebung alles herbeieilte, was auch nur noch einigermaßen das Tanzbein schwingen konnte. Max fehlte natürlich auch nicht in der Runde, und er zeigte sich zunächst sogar von seiner besten Seite, weil er das Auge auf Witts Frieda, eine reiche Bauerntochter, geworfen hatte. Das ging solange gut, bis Frieda heimlich noch Hause gegangen war, zum einen, weil es schon reichlich spät, zum anderen aber auch, weil Max nicht mehr ganz nüchtern war. Grund genug jedenfalls für ihn, jetzt erst richtig hinzulangen und sich ganz gehörig einen hinter die Binde zu kippen.

Es kam daher auch wie es kommen mußte: Max ekelte an der Theke so lange rum, bis Brauns Walter der Geduldsfaden riß und er ihm gehörig eines auf die Nieskapsel versetzte. Max sah zwar im Moment Sterne flimmern und hörte auch die berühmten Engel im Himmel singen, aber er erholte sich überraschend schnell von dem Schlag und streckte seinen bulligen Kontrahenten mit einem einzigen Kinnhaken zu Boden. Zum Jubilieren war es aber noch zu früh, denn jetzt fielen Walters Gefolgsleute, an ihrer Spitze Rosins Willi und Stoys Emil wie eine Wolfsmeute über ihn her und prügelten mit Fäusten und Bierkrügen auf ihn ein. Max, ein in zahlreichen Saalschlachten bewährter Stratege, ergriff einen Stuhl, schmetterte ihn auf die Dielen, daß die Fetzen flogen und teilte anschließend mit dem Stuhlbein, das er in der Hand behalten hatte, gewaltige Schläge aus. Binnen kurzem hatte er seine Gegner nicht nur abgewehrt, sondern sogar in die Flucht geschlagen.

Jetzt war er aber erst so richtig in Fahrt gekommen, und da hielt er sich erfahrungsgemäß nicht mit halben Sachen auf. Er fing an, die Saaleinrichtung zu demolieren und scheuchte mit dem drohend erhobenen Stuhlbein alle Gäste nach draußen, bei deren überstürzter Flucht ein Teil der Fensterscheiben zu Bruch ging. Nur die Musiker blieben starr vor Entsetzen auf der Bühne sitzen, ihn wie eine unirdische Erscheinung anstarrend. Nach getaner Arbeit blieb Max, auf das Stuhlbein gestützt, mitten im Saal stehen und simulierte gerade, welches Danklied ihm die Musikanten spielen sollten (er schwankte zwischen dem Choral "Lobe den Herren" und dem "Radetzkymarsch", den er besonders gern hörte), als er am Ausgang jemand rufen hörte: "De Schandar is da!" Jäh aus seinen Siegesgedanken geschreckt, wirbelte Max herum. Das aus seiner Hand gefallene Stuhlbein erzeugte ein polterndes Geräusch, während er mit gesenktem Kopf wie ein Stier auf die Saaltür zustürmte. Dort verstellte ihm Gendarm Kroll den Weg und rief: "Im Namen des Gesetzes, Sie sind mein Arrestant!" Doch Max boxte ihn zur Seite und brüllte geistesgegenwärtig zurück: "Durch Kraft meines Armes fliegst Du mit'm A.... in'n Sand!"

An dem auf dem Boden liegenden Gendarmen vorbei rannte er mit langen Schritten die Dorfstraße hinunter. "Bloß weg von hier!" dachte er, denn er hatte die Nacht im Spritzenhaus noch in unguter Erinnerung. Nach einer Weile schielte er über seine Schulter und sah entsetzt, daß sich der Wachtmeister längst aufgerappelt hatte und mit gewaltigen Schritten hinter ihm herkam. Daraufhin spurtete Max noch schneller, aber der Gesetzeshüter, ein drahtiger Kerl im besten Mannesalter, holte stetig auf. Was Max nicht wußte: Kroll hatte an der Polizeischule in Treptow/Rego manchen Preis im Langstreckenlaufen geholt.

Das ungleiche Läuferpaar näherte sich unterdessen dem Dorfausgang, wo die Straße in scharfem Knick dem Gänseteich auswich. Max mit rudernden Armen, hechelndem Atem und heraushängender Zunge voraus, in mittlerweile nur noch geringem Abstand gefolgt vom Wachtmeister, der blankgezogen hatte und mit fuchtelnder Stichwaffe hinterdrein hetzte.

Diesmal wußte Max, daß er geliefert war, daß er seinen Meister gefunden hatte, denn die Nagelstiefel des Gendarmen krachten schon ganz knapp hinter ihm aufs Pflaster. Da nahm er allen Mut zusammen und stürmte in den Teich hinein, wo er, Nichtschwimmer der er war, im brusttiefen Wasser stehenblieb.

Gendarm Kroll war am Ufer stehengeblieben. Max registrierte, mit grimmiger Genugtuung aufatmend, daß er keine Anstalten machte, ihm ins Wasser zu folgen. Da kehrte sofort sein Übermut zurück und er spottete: "Komm doch her, du Feigling, traust dich ja doch nicht!"

Wachtmeister Kroll ließ daraufhin einen unmenschlichen Urlaut ertönen, der ein Gemisch aus Wolfsgeheul und Löwengebrüll war und der seine augenblickliche Ohnmacht ausdrückte. Er war nicht nur ein hervorragender Läufer, sondern ein mindestens ebenso guter Schwimmer, aber es ging nicht an, sich in vollem Ornat in das grünliche Wasser des Gänseteichs zu stürzen, auf dem aller mögliche Unrat umherschwamm. So verwahrte er erst mal einen Hirschfänger an dem dafür vorgesehenen Platz am Koppel und nahm danach so etwas wie eine Lagebeurteilung vor. Da die Morgendämmerung schon herauszog, konnte er den Oberkörper des Unnosels deutlich aus dem Wasser ragen sehen. Er hatte inzwischen seine Hohnrufe eingestellt und blickte stumm herüber. Der Mann war ihm sicher, das stand fest. "Kommen Sie raus, Kerl, und stellen Sie sich dem Gesetz", versuchte Kroll es mit gutem Zureden, "es hat ja alles keinen Zweck. Sie holen sich sonst noch den Tod in dem kalten Wasser." Weiter kam er nicht, denn Max, des eigenen Augenblicksvorteils gewiß, entgegnete höhnisch: "Dat möcht'st wohl jern, du Grünrock, wat? Wenn du mich haben willst, denn hol mich doch raus hier, Da bin ich!" Er kreuzte die Arme vor der Brust und machte ein überlegenes Gesicht. Der reichliche Alkoholgenuß ließ ihn die Wasserkühle überhaupt nicht spüren.

Als einige herbeigeeilte Neugierige anfingen zu kichern und den Gesetzeshüter hämisch anstarrten, lief diesem buchstäblich die Galle über. Diese jä'he Überproduktion des gelben Saftes regte die Verdauung so mächtig an, daß Kroll unvermittelt starken Druck im Unterleib verspürte, der sich von Sekunde zu Sekunde noch mehr verstärkte. Er trat zwar unwillig von einem Bein aufs andere, aber es half alles nichts, der am Vorabend reichlich genossene junge Rhabarber, seine Lieblingsspeise, verlangte immer dringender nach Auslaß.

Kurzentschlossen bestimmte Kroll daher den am Zaun lehnenden Schmied Fenske und den am Straßenrand im Gras hackenden Maurer-Polier Kebschull zu Hilfspolizisten und trug ihnen streng auf, den "Arrestanten" bis zu seiner Rückkehr zu bewachen.

"Laßt ihn nicht aus den Augen, Kerls!" schärfte er den beiden ein, "bin gleich wieder da. Hab bloß was Wichtiges zu erledigen." Damit sauste er wie ein geölter Blitz davon, denn in seinem Bauch rumorte es schon verdächtig laut. "Wenn hei sick ma nich inne Hos' schiete deit", brummelte Kebschull hinter ihm her, der das Rumoren deutlich vernommen hatte.

Während der Wachtmeister nur mit knapper Not das heimische Häuschen mit Herzchen erreichte und sich darin große Erleichterung verschaffte, harrten die unvermutet zu öffentlichen Ehren gekommenen beiden Hilfspolizisten bang der Dinge, die da kommen sollten. Gegen Max hatten sie auch zu zweit keine Chance, das wußten sie genau. Und von dem Schwarm Neugieriger, der sich ständig vergrößerte, hatten sie keine Hilfe zu erwarten. Was wurde Max anstellen? Das war hier die bange Frage.

Unterdessen war Wachtmeister Kroll in sein Haus gegangen und hatte sein herziges Weib geweckt, denn ihm war immer noch speübel zumute. "Hast dich jestern bestimmt bißchen überfressen, Willichen", stellte die dralle Schutzmannsfrau fest, als sie endlich nach vielem Gähnen aus den Federn gekrochen kam. Ihr Mann winkte jedoch energisch ab und grunzte etwas, das wie "Blödsinn" klang. Dann wurde er auf einmal grün-weiß im Gesicht und krümmte sich unter schneidendem Bauchweh, weil ihm wieder Max eingefallen war. Nach dem vierten Anfall riß er seinen Uniformrock vom Körper und raste wie von Furien gepeitscht zum vorbezeichneten Häuschen zurück. Er kam erst nach einer längeren Sitzung wieder und fühlte sich jetzt erst recht elend. Seine Frau verfrachtete ihn deshalb ins noch warme Ehebett, flößte ihm Hoffmannstropfen ein, rieb ihm den Unterleib mit Perubalsam ab und als das nichts half, machte sie ihm heiße Wickel und legte ihm eine Binde mit essigsaurer Tonerde auf die Stirn. Zwischendurch mußte Kroll immer wieder hinaus und seinem ungeheuren Grimm Luft verschaffen. Er trabte in der nächsten Stunde, den Bauch mit heißen Wickeln und die Stirn mit kühlenden Binden umwunden, unablässig zwischen Haus und Häuschen hin und her, mal etwas langsamer, mal in verdächtiger Eile. An die Wahrnehmung seines Dienstgeschäftes konnte er überhaupt nicht denken. Fiel ihm der höhnende Max ein, dann war wieder ein Wettlauf mit dem Darmdruck fällig, so sehr wurmte ihn immer noch seine Ohnmacht am Gänseteich.

Unterdessen war es heller Tag geworden und am Dorfteich war die Lage immer noch unverändert Schmiedemeister Fenske und Polier Kebschull hielten brav auf ihren Posten aus und die große Schar der Neugierigen verharrte bei ihnen. Niemand wollte den spannenden Ausgang dieser aufregenden Geschichte verpassen. Eine Gänsefamilie, aus Mutter, Vater und einem Dutzend ganz reizender Kinder bestehend, schwamm um den reglos im Wasser stehenden Max herum und betrachtete ihn neugierig von allen Seiten. Aufforderungen vom Ufer her, doch endlich aufs Trockene zu kommen, ignorierte Max, ja, er antwortete nicht einmal darauf. Was niemand wußte und was auch niemandem auffiel: er streckte bis zu den Knien im zähen Schlamm, der ihn nicht losließ und in den er langsam aber stetig tiefer einsackte. Schon jetzt ragte nur noch ein Teil seiner Schultern aus dem trüben Teichwasser heraus. Allmählich wurde ihm aber das Ausmaß seines selbstverschuldeten Unglücks klar, zumal die Wasserkühle nicht nur seine Beine erstarrte, sondern ihm auch einen klaren Kopf bescherte.

Als ihm das Wasser bis zum Kinn stand, schreckten Fenske und Kebschull aus ihrem monotonen Wachdienst auf, denn von irgendwo war ein zaghafter Hilferuf gekommen. Erst als Max sich zum zweitenmal meldete, diesmal etwas klangvoller, begriffen sie und fragten ihn begriffsstutzig nach seinem Begehren.

"Wenn ji mi hier nich bull ruthole deit, versup ick!" vermeldete Max kläglich und reckte verzweifelt den Hals aus dem Wasser. Einer von den Schaulustigen begriff als erster. Es war der Stellmachermeister Mischke, der mit einem Gehilfen zum abseits vertäuten Kahn rannte und eilig zu Max hinausruderte. Bei dessen Bergung blieben die neuen Halbschuhe für immer im Modder stecken. Aber besser die Schuhe als das Leben verlieren, dachte Max und stemmte sich über den Kahnrand.

Anschließend trabte er fromm wie ein Lämmchen zwischen Fenske und Kebschull zur Gendarmeriestation, wo ihn ein immer noch käseweißer Wachtmeister empfing, der bei der Vernehmung unruhig hin- und herrutschte und dann und wann hastig aus dem Raum eilte, was Max einigermaßen verblüffte.

Und nun das Ende der Geschichte: Max wurde zu 50,00 Reichsmark Geldstrafe wegen Beamtenbeleidigung verdonnert. Eine Anzeige wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt hatte Kroll nicht erstattet aus welchen Gründen auch immer, und so kam der Übeltäter noch einmal mit einem blauen Auge davon.


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