Bütowersche Vertellkes. Gesammelt und erzählt von Hans-Joachim Heß © 1983-2001
Frankenberg 1983, S. 28-31


Uns Fritz studiert Minister

Der Kreis Bütow liegt im äußersten Südosten Pommerns auf dem Kamm des baltischen Höhenrückens.

Das wirtschaftliche Rückgrat des Kreises bildete und bildet noch heute die Landwirtschaft. Die Böden sind in den meisten Fällen karg und liefern lediglich im Kartoffelanbau gute Erträge.

Hinzu kommt noch die ungünstige Höhenlage, die ein rauhes Klima mit sich bringt. Das Land befand sich vor dein letzten Kriege überwiegend in bäuerlichem Besitz, der hier mit 79 % am stärksten in Ostpommern vertreten war. Unter diesen Umständen erscheint es verständlich, daß bei uns nur der Landmann bestehen konnte, der den Kopf nicht nur zum Haareschneiden hatte und aber zwei gesunde Fäuste verfügte, die zupacken konnten. Übrigens vom Haareschneiden hielten zumindest die Altbauern nicht viel. Diese Art von Sitzungen waren für sie Zeitverschwendung, und außerdem wurde es durch die Schneiderei nur kalt um den Kopf. "U denn will de Kierl doför ook noch Gild hebbe!" Und davon trennten sich unsere Bauern am schwersten. Jede Mark und jeder Pfennig wurden dreimal umgedreht, ehe sie ausgegeben wurden.

Die Kartoffelernte rückte näher und war in vielen Fällen allein mit eigenen Kräften nicht zu bewältigen. Die Fremden aber hielten die Hand auf, m den Magen wollten sie auch was haben, und die Schnapsflasche mußte stets m greifbarer Nahe stehen.

"Neke nene, u denn ok noch Hoor schniede, dat schmitt dat Grundstück nich aff."

Da nahm dann sehr oft Mutter die Schere und verfuhr nach der Nachttopfmethode. Das heißt, alles was vorguckt, wird abgeschnitten. Wir Jungs nannten das auch "Mähmaschinen-rasier-Sportschnitt".

Wie glücklich war da der Landwirt, der über eine zahlreiche Nachkommenschaft verfügte! "Die Kinder sind der Reichtum des Bauern," war ein geflügeltes Wort. Drei Jungen und ein Mädchen mußten es mindestens sein. Der älteste kam in den Pferdestall, der zweite in den Kuhstall, der dritte in den Schweinestall und das Mädchen in die Küche.

Aber der Winter war in Hinterpommern lang und kalt, Licht kostete Geld, Radio und Fernsehen gab es noch nicht. Bei Mutter dagegen unter dem Federbett war es immer warm, und irgendein Hobby muß der Mensch ja letzten Endes haben. So kam es auch schon mal vor, daß Gottes Segen sehr reichlich, ja, manchmal schon zu reichlich ausfiel.

Unsere Bauern waren eben in jeder Beziehung fleißige Menschen. Mir ist ein Fall bekannt, wo einer von ihnen 16 lebende Beweise seiner Hobbytätigkeit vorweisen konnte. Alles prächtige Jungen und Mädchen. Es mögen nun noch einige als Kleinkinder verstorben sein, aber Abgang ist ja überall. Hier kam selbst die damalige Reichsregierung in Verlegenheit. Kinderreichtum wurde ja belohnt, und in solchen Fällen übernahm ein Minister stets die Patenschaft über den neuen Erdenbürger. In diesem Falle reichten aber die Reichsminister nicht mehr aus, und es mußten andere, damals prominente Personen einspringen.

Ja, aber was nun mit der ganzen Fußballmannschaft anfangen? Manch einem mag das heute bei der augenblicklichen Jugendarbeitslosigkeit als eine schier unlösbare Aufgabe erscheinen. So schlimm war das nun aber auch wieder nicht.

Die größeren Geschwister versorgten die kleineren, und so lief sich die ganze Truppe groß. Nach der Melodie "gifft Gott Junges, gifft hei ok de Hose dortau".

An Beschäftigung fehlte es nicht. Gänse hüten, Kühe hüten, den Garten versorgen, in Stall und Küche helfen, Feldarbeit, ja, zu tun war immer etwas.

Die Jahre gingen dahin, die rangewachsenen Mädchen heirateten und waren somit aus dem Haus. Die Jungen lernten ein Handwerk oder gingen zu den Preußen. Wozu gab es denn in Stolp gleich zwei Regimenter, eins Infanterie, eins Kavallerie, die Flieger und in Stolpmünde die blauen Jungs? Schon Bismarck wußte die Knochen der Pommerschen Grenadiere zu schätzen. Leider ist man in der Vergangenheit nicht immer pfleglich und schonend damit umgegangen.

Nun soll es aber auch bei uns auf dem Lande Menschen gegeben haben, die sich zu Höherem berufen fühlten, bei denen ein Studium als das einzig Erstrebenswerte im Leben galt.

Auch diesem edlen Streben Bütower Menschen in Stadt und Land war der Weg durch die Aufbau- und Mittelschule geebnet. Nein, wie waren manche Mütter stolz, wenn ihr Sprößling es zum Dorfschulmeister gebracht hatte! Wird einmal eine Bauersfrau von der Nachbarin gefragt, wer denn alles auf der Hochzeit ihres Sohnes gewesen sei. Die Antwort lautete stolz und ein wenig spitz von oben- "All de klauke Lied, all de Lehrers." Das ging ihr runter wie Honig, und uns Mudders wurde gleich einen halben Kopf größer.

Ja, wie oft sind die belächelt worden, unsere guten, alten Dorfschulmeister. Waren sie aber nicht tatsächlich Meister ihres Berufes in des Wortes bester Bedeutung? Sie mußten in der Enge ihrer zweiklassigen, ja, manchmal sogar einklassigen Volksschule den Kindern denselben Stoff vermitteln wie ihre Kollegen in der Stadt, wo jedes Schuljahr, wie komfortabel, seinen eigenen Klassenraum hatte. Ich meine, wir sollten uns ihrer mit Hochachtung erinnere. Sie sind es gewesen, die so manch einen Pommern, dessen Name heute die ganze Welt kennt, das geistige Rüstzeug mit auf den Weg gegeben haben.

Die neben dem schulischen Wissen schon früh uns Kindern die alten preußisch-pommerschen Tugenden ins Herz gepflanzt haben: Bescheidenheit und Aufrichtigkeit, Zähigkeit, Fleiß und Ausdauer, vor allen Dingen aber Treue zur angestammten Heimat seien hier erwähnt.

Wenn ein Schüler einer Dorfschule den Übergang zu der gewiß nicht leichten Aufbauschule in Bütow schaffte, und das kam recht oft vor, dann war das schon eine Leistung von Lehrer und Schüler, die nicht hoch genug eingeschätzt werden konnte. Zumal wenn man bedenkt, daß es sich hier ausschließlich um Fahrschüler handelte, an die zusätzlich sehr starke physische Anforderungen gestellt werden mußten.

Wenn nun ein Junge oder ein Mädel nach Bütow "up de hoge Schaul" ging, nahm das ganze Dorf, jeder auf seine Art und Weise, daran Anteil. Außenstehenden gegenüber ließ man natürlich nichts auf den Aspiranten kommen. Er war ja aus dein eigenen Dorf, und da hielt man natürlich fest zusammen. Innerhalb der Dorfgemeinschaft sah es aber manchmal anders aus. Da schwang dann schon mal hier und dort etwas Neid mit, der sehr oft von den Eltern, hier hauptsächlich von den Mütter, provoziert wurde. Jede Mutter guckte natürlich in ihren Sprößling rein wie in den General und stolzierte mit dementsprechend hoch erhobener Nase durch das Dorf. Wen wunderte es da, daß irgendwelche Anspielungen, ironische Bemerkungen und provozierende Fragen nicht lange ausblieben! So geschah es auch in einem Dorf nahe der Kreisgrenze, daß die stolze Mutter ihres hoffnungsvollen Sohnes von der Nachbarin sehr spitz gefragt wurde: "Na, Naberschke, wat studiert juge Fritz denn up de hoge Schaul in Bütow?" Die so Angesprochene war um die Antwort nicht verlegen. Kurz taxierte sie ihr Gegenüber ab, richtete sich kerzengerade auf, jeder Zoll Würde und Vornehmheit, von den etwas altmodischen Schuhen über die Entwarnungsfrisur bis hin zum Düttchen. Kurz wurde das schwarze Sammetband, welches sie um den Hals trug, zurechtgerückt, die Nase noch um einige Grade spitzer als die Frage der Nachbarin: "Uns Fritz studiert Minister!"

Nun, Fritz ist nicht Minister geworden, er hat auch nicht studiert. Aus ihm ist ein bescheidener, aber sehr tüchtiger Mensch geworden, der neben seinem Beruf treu und mit viel Fleiß für das Recht aller Pommern auf die angestammte Heimat eintritt.


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