Bütowersche Vertellkes. Gesammelt und erzählt von Hans-Joachim Heß © 1983-2001
Frankenberg 1983, S. 38-45


Der Jahrmarkt

Viermal im Jahr war in Bütow Jahrmarkt, und viermal im Jahr war Bütow selbst das größte Dorf des Kreises.

Dem oberflächlichen Betrachter mußte es scheinen, als seien an diesen Tagen die Dörfer ausgestorben, und die Bauern wären mit Kind und Kegel in die Stadt ausgewandert. Man wollte kaufen und verkaufen, sehen und gesehen werden. Einmal im Jahr wollte man was erleben. Gewiß, wenn manch einer den eigenen Kirchturm nicht mehr sah, war ihm nicht ganz wohl, aber letzten Endes siegte dann doch das Tröpfchen Abenteuerlust im Blut und machte sich startklar. Die Besucher aus den umliegenden Dörfern hatten es ja leicht, hier genügten Pferd und Wagen, und sie sahen ja auch noch ihren Schornstein rauchen. Wenn man aber in Jassen oder Radensfelde, in Sonnenwalde oder Borntuchen wohnte, sah die Sache schon etwas anders aus, und noch schlimmer wurde es für die Ortschaften, die keinen Bahnanschluß hatten. Da mußte die ganze Angelegenheit sorgfältig geplant werden. Wann fährt der Zug ab, wie lange fährt man mit dem Wagen, wann muß man deshalb aufstehen und die Pferde füttern, und wann und wie kommt man wieder zurück? Alles Fragen, die beantwortet werden mußten. Wer fuhr und wer zu Hause blieb, das stand ja von vornherein fest. Der Haushaltungsvorstand, sprich der Vater, vertrat natürlich auch hier die ganze Familie, und wenn es hoch kam, nahm er Mutter auch noch mit. Der Rest der Truppe hatte die hohe Ehre, Haus und Hof zu hüten. So sah eben der damalige Lastenausgleich in einer dörflichen Familie aus. Ja, und nun ging die Reise los! Die Langschäfter waren auf Hochglanz poliert, die grüne Joppe angezogen, die Zigarre in Brand, der neue Hut auf dem Kopf, Mutter hatte auch das Neueste aus dem Schrank geholt, "na, denn sind wir sowiet, na, denn man tau," und mit "hü" und mit "hott" ging es ab zum Bahnhof. Ja, du liebste Welt, was war denn hier los? Diese Menschenmassen, daß es überhaupt so viele Menschen auf einem Haufen gibt! Das Staunen fing hier schon an und das sich gegenseitige Begrüßen natürlich auch. Menschen sahen sich wieder, die sich einigen Fällen schon Jahre sucht mehr gesehen hatten, und der verschlafene Dorfbahnhof erwachte für kurze Zeit aus seinem Dornröschenschlaf.

Vater ging stolz mit immer noch oder schon wieder brennender Zigarre zum Schalter, löste zweimal "Bütow und retour", und jetzt hatte man noch ausgiebig Zeit, sich gegenseitig auszufragen und zu beriechen. War das ein Geschnatter, man kann es sich heute kaum noch vorstellen! Auf einmal, als wenn ein unsichtbarer Regisseur oder Dirigent ein Zeichen gegeben hätte, verstummte alles. Man konnte für kurze Zeit fast eine Stecknadel fallen hören.

So war es auch einmal in Groß-Tuchen auf dem Bahnhof, und dann passierte es. Ob nun die lange Sitzerei auf dein Wagen, die allgemeine, freudige Erwartung oder Nachblähungen des am Vortage genossenen Erbsen- oder Bohneneintopfes schuld daran waren, jedenfalls ließ in die augenblicklich eingetretene Stille hinein jemand laut und unüberhörbar einen gehen! "Wat. wier dat? Nu wart dat ja woll immer bäter!" Die Ruhe wurde in einer bestimmten Ecke etwas betretener, das Jungvolk kicherte hier und da, ein Massowitzer Bauer zwirbelte seinen Kaiserwilhelmbart und kommentierte die Angelegenheit wie folgt: "Joa, joa, schlottere als de Geise (Gäme) ober furtze as e Wallach!" Zustimmendes Lachen in der ganzen Runde, und die aufheiternde, rückwärtig geäußerte Meinung eines Unbekannten war damit zur Kenntnis genommen.

Der "rasende Rummelsburger" mit mindestens 4 Wagen Verstärkung kam, man stieg ein und begann den zweiten Teil der Reise. Da der Zug aus allen Himmelsrichtungen früh ankam, führte der Weg zunächst m eine der ausreichend vorhandenen Ausspannungen oder Gastwirtschaften, und hier sprach jeder Bauer erst einmal sein Morgengebet. Was, Sie kennen des Bütower Bauern Morgengebet nicht? Oft konnte man es an diesem Tage hören. "Ein Korn, ein Bier, eine Zigarre!" Noch ein Korn und noch ein Bier, und so betete man sich langsam aber sicher in die richtige Jahrmarktsstimmung hinein. Es war eine recht geräuschvolle "Andacht".

Nur in einer Ecke in der Ausspannung Klause am Markt war es etwas ruhiger. Hier saß eine Sonderausgabe des spezies homo sapiens, die etwas spät aus den Federn gekommen war und wartete auf ihr Frühstück. Dieses Prachtexemplar von einem Bütower Landmann brachte spielend 2 1/2 Zentner und auch noch einiges mehr auf die Waage, und an der Länge von 2 Metern fehlte auch nicht viel. Wenn er sich durch die Tür bewegte, war der Rahmen vollends ausgefüllt. Da es bei Klause aber nur Getränke gab, hatte er seinen Jungen losgeschickt, um etwas Festes ranzuschaffen. Der kam dann auch bald mit 3 Pfund Würstchen und für 20 Pfennige Brötchen beladen zurück, knallte das seinem Vater auf den blankgescheuerten Tisch und wünschte guten Appetit. Daran mangelte es dem alten Herren keineswegs. Damit es besser rutschte, bestellte er noch einen halben Liter Bier, und jetzt konnte das, ach, so bescheidene Frühstück eingenommen werden. In gleichbleibender Reihenfolge verschwanden nun immer ein Würstchen und ein halbes Brötchen im Innenleben unseres gewichtigen Gastes. Hierbei darf nicht unerwähnt bleiben, daß man damals für 20 Pfennige 8 Brötchen erhielt. Nach einer guten Viertelstunde waren Würstchen, Brötchen und Bier verschwunden und unser Bäuerlein machte einen rundum zufriedenen und gesättigten Eindruck. So gestärkt konnte jetzt auch für ihn der Jahrmarkt beginnen.

In der Zwischenzeit hatte sich nun draußen auch schon einiges getan. Verkaufsstand reihte sich an Verkaufsstand. Vom Rathaus bis Thurow und von der Elisabeth-Kirche bis Scheffler war eine Budenstadt entstanden, m deren engen Gassen die Verkäufer ihr Wettgebrüll erhoben hatten. Am lautesten schrie der billige Heinrich, und so hatte sich auch vor seinem Stand die größte Menschentraube angesammelt.

"Ein Regenschirm für 10 Mark. Nein, nicht ein Regenschirm, zwei Regenschirme, drei, ja vier Regenschirme für ganze 10 Mark! Und weil Sie es sind, Muttchen, nicht für 10 Mark, nicht für 8 Mark, für ganze 5 Mark diese vier schönen Regenschirme, Leute, kauft, Leute, alles erstklassige Ware!" So oder ähnlich schallte es über den Markt, und die Menschen kauften, als wenn schon morgen in ganz Deutschland nichts mehr zu bekommen wäre. Was wurde aber auch nicht alles angeboten: warme Joppen, Strickwaren, Keramiksachen, Stahlwaren, Schuhzeug, kurz: vom Hosenknopf bis zum kompletten Pferdegeschirr war alles zu haben.

Auf uns Kinder übten natürlich die Buden mit den Lebkuchenherzen und Steinpflastern, den Zuckerwaffeln und Bonbons sowie den Losen und Glücksspielen den größten Reiz aus. Die Stände mit den sich drehenden Windmühlen und Luftballons waren aus einem anderen Grund interessant. Kaufen wollten wir dieses alberne Spielzeug nicht. Wäre ja auch viel zu kindisch gewesen. Die Luftballons ließen sich aber so schön, sehr zum Leidwesen ihrer Besitzer, mit, einem Katapult oder einem Gummiband mit kleinen Stahlkrampen kaputtschießen. Also derartigen Schabernack gibt es nicht erst seit heute, das konnten wir damals auch schon ganz gut.

Ganz aus der Reihe fiel aber einmal ein Stand, an dem man, wenn man eine geschickte Hand hatte, einiges gewinnen konnte. Auf einem Tisch stand ein rechteckiger Rahmen. An dem oberen Querholz hing eine Kette mit einer Holzkugel und darunter lag ein Ball. Lauthals verkündete der Schausteller: "Von vorn ist verloren, drumrum ist verloren. Wer den Ball einmal von hinten runterwirft, der hat die Auswahl!" Komisch, bei ihm klappte es immer, bei seinen Kunden und Zuschauern aber nur sehr selten. Auch wir Bengels hatten unser Glück versucht und wie konnte es anders sein, unsere Groschen verspielt.

Dies ließ mir nun keine Ruhe. Ich bastelte mir zu Hause einen ähnlichen Rahmen und übte so lange, bis ich den Dreh raushatte. So, jetzt sollte der Schreihals mal kommen, und er kam.

"Von vorn ist verloren, drumrum ist verloren. Wer den Kegel einmal von hinten runterwirft, der hat die Auswahl," so schallte es wieder über den Markt, und alles drängte hin, um seine Groschen nach vergeblichen Versuchen abzuliefern. "Na, mein Junge, möchtest du auch einmal?" Und ob ich mochte! Mein ganzes Kapital, eine Reichsmark, legte ich auf den Tisch, sagte kurz "10 mal", und damit war die Stunde der Wahrheit gekommen. Mein Freund Pitt stand bereit, die munteren Sachen in Empfang zu nehmen. Die Geschichte klappte vorzüglich. Bei jedem Wurf fiel der Kegel. Wenn unser Budenonkel den ersten Gewinn noch zu Reklamezwecken umzumünzen verstand, so wurde er doch jedesmal, wenn der Kegel vorschriftsmäßig umgestoßen wurde, etwas ruhiger. Als mich dann noch ein Zuschauer zum Weitermachen animieren wollte, machte der Schausteller dem für ihn verlustreichen Geschäft ein Ende, indem er konsequent die Meinung vertrat, daß auch andere Leute noch ihr Glück machen wollten. Sollten sie. Pitt und ich packten unsere Gewinne zusammen und zogen - bis an beide Ohren schadenfroh grinsend - weiter.

Jetzt wäre es vielleicht noch interessant, einen Blick auf den Vieh- und Pferdemarkt zu werfen, der an der oberen Lauenburger Straße neben dem Schweinekrug abgehalten wurde. Von 6 Wochen alten Ferkeln bis zu edlen Rossen wurde hier alles gehandelt, was 4 Beine hatte. Es war das Reich der großen Viehhändler wie auch der Schacherer und einzelner Bauern, und ich glaube, daß nirgendwo auf der ganzen Welt mehr gelogen und betrogen wurde als hier. Zu Rechtsstreitigkeiten aber kam es selten, denn der Reingefallene wollte sich ja nicht die Blöße geben, angeschmiert worden zu sein. Er wartete lieber auf die erste, sich ihm bietende Gelegenheit, einen anderen übers Ohr zu hauen, und damit war dann auch sein seelisches Gleichgewicht wieder hergestellt.

Da wurden manchmal Pferde verkauft, die schon gar keine Pferde mehr waren. Es war bestenfalls das, was von einem einst schönen Pferd nach jahrelanger Arbeit übriggeblieben war, und das war nicht mehr recht viel. Ähnlich wie bei den Menschen. Wenn heute ein älteres junges Fräulein etwas verwelkt und schrumpelig wird, läßt es sich, vorausgesetzt es hat das nötige Kleingeld dazu, liften und general überholen und siehe da, aus der alten Matrone ist wieder ein steiler Zahn geworden.

So machte das auch manch Pferdehändler und mancher Bauer mit seiner alten Mähre, die er als flottes Reit- und Wagenpferd verkaufen wollte. Da stand beispielsweise zunächst ein armes, pferdeähnliches Wesen im Stall, auf dessen Hüftknochen man bequem die Mütze aufhängen konnte und dessen lange Wolle jedem Moschusochsen in Grönland Ehre gemacht hätte. Diese arme Pferdegestalt wurde nun zunächst mit Kartoffelschlempe und vollkommener Bettruhe, Entschuldigung, Stallruhe, wieder aufgepäppelt. Nach drei bis vier Wochen waren die vorstehenden Hüftknochen verschwunden, den größten Teil der Wolle hatte sie verloren und auch der ganze Allgemeinzustand hatte sich sehr gebessert. Die letzten noch übrig gebliebenen langen Haare wurden mit dem glühenden Bolzen aus einem alten Plätteisen abgebrannt, unsere gute alte Tante mit etwas Leinöl, dem Oil of Olaz der Pferde, abgerieben, und siehe da, sie glänzte wieder wie ein blanker Kinderpopo. Kaum noch wiederzuerkennen. Das wäre es denn auch schon bald, bis auf den Zahnarzt. Bekanntlich kann man das Alter eines Pferdes an den Zähnen ablesen, und hier mußte also noch etwas nachgeholfen werden. Da es aber auch in Bütow keine Pferdezahnärzte gab, erledigte diese Prozedur der Verkäufer mittels einer Feile selber. Kurz vor Markbeginn wurde dem so rausgeputzten Klepper mit der Peitsche noch kurz aber schlagkräftig klargemacht, daß er jetzt wie eine Remonte zu springen hatte, rasch etwas Pfeffer und Salz unter den Schweif, damit dieser auch schön gebogen getragen wird, und die Schacherei konnte beginnen. Wieviele, auf diese Art und Weise aufgemotzten "Rassepferde" den Besitzer gewechselt haben, läßt sich nicht feststellen. Fest steht aber, daß unser jetzt so flottes Pferdchen nach einer Woche Feldarbeit wieder genau so aussah, wie es vor dieser fragwürdigen Verschönerungskur ausgesehen hatte.

Der Vogel wurde aber mit folgender Gaunerei abgeschossen.

Da stand ein Bauer, den keiner kannte, auf dem Markt und bot zwei recht unterschiedliche Pferde zum Kauf an. Eins war ein gutes, kräftiges Arbeitspferd und das andere war ein Traum von einem Roß: ein Dunkelfuchs, auf allen Vieren gestiefelt, erstklassiges Gebäude, hoch im Blut stehend, erstklassige Gänge, mit einem Wort, einfach Rasse und Klasse! Ein dreijähriger Wallach mit einem selten schön ausgebildeten Schweif. Hier hatte kein Zahnarzt nachgeholfen und auch Oil of Olaz war nicht von Nöten gewesen, alles war oder schien echt. Der Preis war, wie konnte es auch anders sein, nicht gerade niedrig. Interessenten waren genügend vorhanden, und nach kurzem Handel war der Kauf perfekt. Der Käufer zahlte, der Verkäufer kassierte und ... war verschwunden.

Der stolze Besitzer des edlen Tieres brachte seine Neuerwerbung nach Hause und ließ auch sonst keinen an das Pferd heran. Am zweiten Tag in der neuen Umgebung hatte sich unser Schweißfuchs den Schweif etwas belegen. Sein neuer Besitzer nahm einen Stahlkamm und wollte den Zagel auskämmen. Da war's denn auch schon geschehen! Er hielt die ersten Haare in der Hand und je mehr und je eifriger er kämmte, je mehr lichtete sich die Pracht des Pferdeschweifes, bis an der ganzen Rübe nicht mehr ein einziges Härchen zu finden war. Was war geschehen? Der Fuchs hatte einen Geburtsfehler. An der Schweifrübe sind niemals Haare gewachsen und werden auch niemals welche wachsen. Die ausgekämmten waren von dem Verkäufer vorher angeklebt worden. Der Gauner war fort und nicht auffindbar, der Käufer war sein gutes Geld los, hatte den Ärger und den Spott dazu. Zur Ehrenrettung des Bütower Pferdemarktes blieb aber noch nachzutragen, daß neben den kleinen und gelegentlich auch mal größeren Gaunereien die meisten Geschäfte ehrlich abgewickelt wurden und der Handschlag noch etwas galt.

Anschließend ging es dann in den Schweinekrug, und hier wurde erst einmal der Schwanz versoffen. Das heißt, Käufer und Verkäufer ließen in Anbetracht ihres beiderseitigen guten Geschäftes einige Lagen zur Versöhnung auffahren. Nach einer gewissen Zeit verließen dann beide etwas schwankend, den Hut schief im Nacken, den Krückmann über dem Arm, das Wirtshaus und strebten, wenn auch in Serpentinen, dem Bahnhof zu.

Schlecht erging es einmal einem Bauern, der den ganzen Tag 8 Ferkel angeboten hatte und keines verkaufen konnte. Als er aus dein Krug kam, in dem er den Ärger und die schlechten Zeiten runtergespült hatte, stellte er fest, daß ihm ein Witzbold noch vier weitere in den Kasten gesetzt hatte. Was war zu tun?

Unser Bauer machte sich auf den Heimweg, und als er durch eine dichte Tannenschonung kam, hielt er an, zog das Schütz des Kastens hoch und ließ die ganze Schweinerei einfach in den Wald laufen. Was nun aus diesen 12 Aposteln geworden ist, ist nicht überliefert.

Die Sonne stand schon tief, die Schatten wurden immer länger, die Jahrmarktbesucher aus den naheliegenden Dörfern waren. schon nach Hause gefahren, und das verbliebene Gros setzte sich schwer beladen in Richtung Bahnhof in Bewegung, um die Heimreise anzutreten. Ein erlebnisreicher Tag ging zu Ende.

Von Bütow bis Klein-Tuchen sorgte dann noch, gewissermaßen als Abschluß und Ausklang, der Fettviehhändler Borrowitz aus Klein-Tuchen für eine humorvolle Einlage. Ein Radensfelder Original betrat, schwer beladen, das Abteil für Reisende mit Traglasten, verstaute sein Gepäck, setzte sich hin und legte die Fahrkarte neben sich auf die Bank. Unser guter Borrowitz saß gegenüber und beobachtete das ganze etwas umständliche Gehabe und natürlich auch die auf der Bank liegende Fahrkarte. Er stand auf, begrüßte den Radensfelder, setzte sich neben ihn, wechselte einige belanglose Redensarten, steckte heimlich die Fahrkarte ein und setzte sich wieder auf seinen Platz. Als nun der Schaffner kam, ließ unser Borrowitz auch die gemopste Karte lochen und bat den Schaffner mitzuspielen, was dieser auch tat. Der Vertreter der Reichsbahn setzte seine ernsteste Dienstmiene auf und forderte von unserem Mann aus Schebiatkow (kaschubisch: Terzebiatkow) mit wackelnden Schnurrbartspitzen die Fahrkarte. Die Karte war nicht da, und nun ging das Theater los. Finster musterte unser Freund, nennen wir ihn mal August, seine Nachbarn, krempelte alle Taschen um und beteuerte immer und immer wieder: "Ick heff se doch hatt!" "Also, wenn Sie bis Damsdorf die Fahrkarte nicht haben, müssen Sie aussteigen," sagte der Schaffner und verließ das Abteil. Von Bütow bis Damsdorf fuhr der Zug gerade gute fünf Minuten. In diesen fünf Minuten hatte August den Inhalt seiner zahlreichen Einkaufstaschen und Pakete malerisch auf dem Fußboden ausgebreitet. Die Fahrkarte jedoch war auch hier nicht zu finden, und in Damsdorf erschienen die wackelnden Schnurrbartspitzen wieder.

"Die Fahrkarte bitte!" "Ja, Herr Schaffner, ick heb den Balljet ober doch hat un nu is hei weg!"

"Allerletzte Frist ist Klein-Tuchen," hörte man die Amtsperson schnurren, "wenn Sie die Karte bis dann reicht haben, steigen Sie endgültig aus und damit basta!"

Steigen Sie aus, das ist leicht gesagt, aber wie sollte August von dort nach Radensfelde kommen? Nochmal wurde alles um- und umgekrempelt, die Fahrkarte war und blieb verschwunden. August war mit seinem Latein und den Nerven am Ende.

Der Zug hielt, draußen hörte man den Schaffner "Klein-Tuchen" rufen, und hier mußte auch unser guter Borrowitz aussteigen, der der ganzen Vorstellung bisher schadenfroh zugesehen hatte.

Als er schon in der Tür stand, drehte er sich nochmal um und sagte: "August, kiek mol, wat ick hier heff," und warf ihm die Fahrkarte zwischen sein buntes Allerlei. Blitzschnell griff August zum Krückstock, und nur mit großer Mühe konnte sich der schadenfrohe Fettviehhändler vor einer kräftigen Tracht Prügel in Sicherheit bringen.

Auf den Bestimmungsbahnhöfen warteten schon die Angehörigen mit Pferd und Wagen, und eine Frau von noch nicht einmal 50 Jahren faßte die Mühen dieses Tages mit den Worten zusammen: "Neke, nee nee, vör ne ülle Minsche is dat Reisen nischt


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